Gyokuro gilt als edelster unter den japanischen Tees. Da ich schon einmal in Japan bin, möchte ich natürlich alles über den Kaiser unter den Tees erfahren. Das ich einen Teemeister kennenlernen werde, der für seine Gyokuros weltweit berühmt ist, habe ich nicht zu träumen gewagt.

Herr Yamashita wurde mehrmals für seine handgerollte Tees ausgezeichnet. Jetzt räumen seine Lehrlinge die Preise ab. Ich durfte Herrn Yamashita bei der Arbeit zusehen, und dann hat er uns aus dem frisch gemachten Gyokuro ein köstliches Getränk zubereitet. Ein unglaublich netter und bodenständiger Mensch. Seine Hände sind wie Leder von viel Arbeit und vom aufwändigen Rollprozess der Gyokuro Herstellung.

Seine Teewerkstatt sieht so aus, ob die Zeit hier vor 40 Jahren stehen geblieben ist. Auch Yamashitas Teefelder befinden sich in unmittelbarer Nähe. Er überprüft hier noch jeden einzelnen Verarbeitungsschritt mit seinen eigenen Augen und Händen. Seine unermüdliche Sorgfalt gewährleistet den einzigartigen Geschmack und die unerreichte Qualität seines Gyokuros. Die obersten, frisch gewachsenen Blätter der Pflanzen werden geerntet, danach sofort gedämpft und anschließend unter Hitzezuführung auf verschiedene Arten gerollt. Die höchste Qualität stellt hierbei der rein handverarbeitete Tee dar. Hierzu werden die Teeblätter nicht nur manuell gepflückt, sondern auch bis zu 6 Stunden lang mit der Hand auf einem beheizten „Jotan“ gerollt.

100 g eines solchen, „Temomi“-Tees (handgerollter Tee) können in Japan im Direktverkauf ohne Zwischenhändler bereits 150 € – 250 € kosten. Der Exportpreis nach Europa ist natürlich um ein Vielfaches höher.

Ebenfalls sehr hochwertig ist handgepflückter Gyokuro, der jedoch anschließend maschinell verarbeitet wird. Im hochtechnisierten Japan gibt es ausgezeichnete Maschinen für die Teeverarbeitung. Auch Herr Yamashita hat in noch einige alte Maschinen zum Rollen von Gyokuro, die sehr sorgfältig gepflegt werden.

Da es sehr zeitaufwändig und kostspielig ist, die Gyokuro-Blätter manuell zu pflücken, geschieht dies nur noch in wenigen Gegenden. In den meisten Fällen wird heute leider maschinell geerntet. Ein großer Vorteil bei der manuellen Ernte ist, dass das menschliche Auge Stängel und ungeeignete Blätter besser aussortieren kann.

Vor allem jedoch bleiben die Blätter bei manueller Pflückung unversehrt, während die Maschine sie zerschneidet. Bei einem handgepflückten und sorgfältig verarbeiteten Gyokuro öffnen sich die zu festen Nadeln gerollten Blätter beim Aufgießen mit Wasser zu ihrer vollen Größe. Dies bedeutet, dass sie einen sehr differenzierten Geschmack abgeben und auch nach mehreren Aufgüssen noch sehr ergiebig sind. Während maschinell geerntete Gyokuros oft nach zwei Aufgüssen ihr Aroma verlieren, entwickeln die handgeernteten Tees selbst nach fünf Aufgüssen noch einen delikaten Geschmack.

Nun wie schmeckt ein Gyokuro?

In Japan wird er traditionell zubereitet: viele Blätter und wenig Wasser, so dass nur wenige hochkonzentrierte Tropfen Tee in der Tasse serviert werden. Es ist nicht einfach, den Geschmack von Gyokuro zu beschreiben. Die meisten Menschen, die diese Sorte zum ersten Mal probieren, sind überrascht und sagen, dass dieser Tee nicht zu vergleichen ist mit allen anderen Getränken und Speisen.

In Japan selbst wird der Geschmack von Gyokuro als „Umami“ bezeichnet. Es handelt sich dabei um eine eigenständige, fünfte Geschmacksrichtung neben den üblichen Bezeichnungen „süß“, „sauer“, „salzig“ und „bitter“. Der typische „Umami“-Geschmack wird vor allem durch einen hohen Anteil an Aminosäuren (z.B. Glutaminsäure) hervorgerufen. Außer in Gyokuro findet er sich z.B. in Sojasoße, Shiitake-Pilzen, Seetang, Fleisch, reifen Käse- oder trockenen Weinsorten. „Umami“ kann mit „herzhaft“, „würzig“, „kräftig“ übersetzt werden. „Als Verlangen nach mehr“ würde ich diese Geschmacksrichtung beschreiben.

Aufgrund des hohen Anteils an Aminosäuren hat Gyokuro etwas sehr Vollaromatisches und kann an den Geschmack von Ozean, Seetang, Auster, Spinat, Suppe oder gar Schwarzwälderschinken erinnern. Je nach Qualität, Anbauregion und Zubereitungsmethode unterscheidet sich der Geschmack jedoch noch einmal deutlich. In der berühmten Anbauregion Uji (Präfektur Kyoto) schmeckt der Gyokuro eher blumig-mild und besonders süß. In der ebenfalls berühmten Anbauregion Yame (Präfektur Fukuoka) ist er dagegen generell etwas schwerer und würziger.

Am intensivsten kann der intensive Geschmack genossen werden, wenn der Tee in kleinen Mengen getrunken und vor dem Schlucken langsam im Mund von vorne nach hinten „gerollt“ wird. So können sich die unterschiedlichen Aromen am besten entfalten und auch nach dem Schlucken bleibt noch für einige Zeit der typische „Umami“-Geschmack im Mund.